Unerfüllter Kinderwunsch – Zerreißprobe für die Partnerschaft (Teil 2)

Im ersten Teil des Blogartikels zu diesem Thema ging es u.a. um den Zusammenhang psychischer Faktoren mit dem unerfüllten Kinderwunsch sowie die Klärung eigener tiefer Gründe und Motive für die Sehnsucht nach Nachwuchs. Im Zentrum dieses Beitrags steht darauf aufbauend, wie der mit der Situation häufig verbundene psychische Stress die Beziehung belastet und welche Möglichkeiten es für Paare gibt, ihre Sprachlosigkeit und Frustration gemeinsam zu überwinden.

Psychischer Stress als Ursache für Kommunikationsschwierigkeiten, sexuelle Unlust und Partnerschaftskonflikte
Der unerfüllte Kinderwunsch ist mit einem insgesamt sehr hohen psychischen Stresslevel verbunden. Die permanente Anspannung durch das belastende Warten, finanzielle Belastungen sowie das den Paaren abverlangte hohe Maß an Ausdauer, Zuversicht und gegenseitigem Verständnis wirken sich vor allem auf das Wohlbefinden der Partner und deren Kommunikation aus.
Der seelische Druck lässt außerdem die sexuelle Lust der Partner sinken. So stellen fast alle betroffenen Paare zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt die Veränderung ihres sexuellen Erlebens und Verhaltens fest. Insbesondere, wenn z.B. medizinische Schritte den „terminlich geregelten Verkehr“ erfordern, wird die Lust der Partner als stark beeinträchtigend erlebt (vgl. Kleinschmidt et al., 2008). Durch das Gefühl, keine Chance einer Befruchtung ungenutzt lassen zu können, bleibt von einer lustvollen und ungezwungenen Begegnung wenig. Zu einer erfüllten Sexualität gehört schließlich für viele Paare, spontan sein zu können. Wichtig ist es für Paare hier nicht auf eine selbstständige „Besserung“ zu hoffen, sondern rechtzeitig (wieder) über das Thema Sexualität ins Gespräch zu kommen, um weitere Frustrationen zu vermeiden.

Im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung, insbesondere wenn diese längere Zeit andauert, sind Paare noch zahlreichen weiteren Belastungen ausgesetzt. Das kann dazu führen, dass unterschiedliche Ansichten, Vorstellungen und Bedürfnisse nicht mehr (ausreichend bzw. klar genug) wahrgenommen werden oder Konflikte in der Beziehung nicht mehr angesprochen werden. Dies kann die Paarbeziehung selbst betreffen, jedoch auch die Beziehung zu den Eltern, Schwiegereltern und Freunden oder berufliche Herausforderungen. Da die Erfüllung des Kinderwunsches viel Kraft und Zeit verlangt, werden eigentlich notwendige Auseinandersetzungen bzw. die Bearbeitung von Konflikten in der Partnerschaft und anderen Lebensbereichen zurückgestellt oder vermieden (vgl. auch Kleinschmidt et al., 2008). Probleme werden dadurch nicht gelöst, sondern häufen sich. Da sie häufig im Hintergrund „schwelen“, beeinflussen sie zunehmend auch die tägliche Kommunikation der Paare. Die Partner sind häufiger und schneller gereizt oder ziehen sich innerlich zurück.

Was Paare tun können
Deutlich wird, dass der unerfüllte Kinderwunsch enormen Druck verursacht, der die Beziehung der Partner zueinander belasten kann.
Wesentlich ist es deshalb, dass die Partner offen zueinander sind und gegenseitige Vorwürfe vermeiden. Es sollte keineswegs um Schuldzuweisungen gehen, sondern die Verwirklichung des gemeinsamen Ziels: Ein Kind. Machen Sie sich also deutlich, dass Sie und Ihr Partner „in ein und demselben Team“ spielen.

Wenn Sie sich bereits für eine medizinische Untersuchung und/ oder Behandlung entschieden haben, ist es wichtig, Verständnis für den Partner und seine Unsicherheiten, Zweifel und eventuell schwankenden Emotionen aufzubringen. Da ein Großteil der medizinischen Behandlung die Frau betrifft, ist es hilfreich, wenn der Mann seiner Partnerin Unterstützung anbietet. Diese kann sich auf die gemeinsame Aufgabenverteilung beziehen, aber auch auf emotionale Unterstützungsangebote. So ist es für Frauen meist eine große Hilfe, wenn sie sich während der häufig stattfindenden und normalen Stimmungswechsel mit dem Partner austauschen können und sich ernst genommen fühlen. Doch auch Frauen sollten ihre Partner stützen und keineswegs verkennen, dass es für den Partner eine große Überwindung sein kann, die eigene Fruchtbarkeit überprüfen zu lassen und ggf. eine Diagnose zu erhalten, welche starke Selbstzweifel auslösen kann. Nehmen Sie sich Zeit für Gespräche und für das Erleben positiver Momente. Gönnen Sie sich gemeinsam Ruhe, Abstand und Entspannung oder verwöhnen Sie Ihren Partner.
Vermeiden Sie, dass der Kinderwunsch zum alleinigen Inhalt Ihrer Beziehung wird! Denn dies steigert den ohnehin vorhandenen Erfolgsdruck noch mehr. Nutzen Sie stattdessen die gemeinsame Herausforderung, um Ihre Partnerschaft durch gegenseitiges Vertrauen und Verständnis zu vertiefen und zu festigen (vgl. Gagel et al., 1999).

Isolation und Einsamkeit durchbrechen
Vor allem Frauen fühlen sich in der wartenden und sehnsüchtigen Situation zunehmend einsam und neigen dazu, sich zurückzuziehen. Eine wichtige Ursache hierfür sind kann die hilflose Reaktion des sozialen Umfeldes auf die starken Emotionen sein (vgl. Rohde, 2001). Oberflächlich wirkende Kommentare, welche eigentlich die Absicht verfolgen, zu trösten, verletzen eher noch zusätzlich. Gleichzeitig empfinden es viele Frauen als unerträglich, Kontakt mit schwangeren Freundinnen, Verwandten oder Kolleginnen zu haben. Nicht selten wünschen sich auch die eigenen Eltern oder Schwiegereltern sehnlichst ein Enkelkind. Eine Situation, die beide Partner zusätzlich unter Druck setzen kann. Paare berichten es als hilfreich zu empfinden, mit dem Thema Kinderwunsch offen umgehen zu können. Das heißt, mit Freunden, Verwandten und Bekannten offen darüber und die damit zusammenhängenden Belastungen zu sprechen.
Nicht selten aber ziehen sich Paare im Verlauf der Zeit immer mehr zurück, umgehen den Kontakt zu Freunden und Bekannten, die Eltern werden oder geworden sind oder brechen den Kontakt sogar vollständig ab. Vor weiteren Personen aus dem sozialen Umfeld wird das Sprechen über den unerfüllten Kinderwunsch zudem aus Scham, dem Gefühl von Unverständnis oder auch eigener Erschöpfung im Zusammenhang mit dem Thema vermieden.

In dieser Situation ist es wesentlich, das Gefühl wachsender Einsamkeit und Isolation bewusst und pro-aktiv zu durchbrechen. Dabei ist es wichtig, dass die Partner miteinander im Gespräch bleiben und sich mit Paaren in der gleichen Lebenssituation austauschen. Diese Möglichkeit bieten, wie bereits im ersten Blogartikel zu diesem Thema erwähnten Selbsthilfegruppen (z.B. über den Verein Wunschkind e.V.) sowie die zahlreichen Online-Foren.

Wann ist professionelle Unterstützung ratsam?
Paare, die alleine oder durch die Selbsthilfegruppen keinen Weg aus der belastenden Situation finden, sollten sich nicht scheuen professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen, wie sie u.a. von Paarberatern, aber auch ProFamilia oder Gesundheitszentren offeriert werden. Zudem kooperieren einige Kinderwunschpraxen mit Beratungspraxen.
Obwohl der Leidensdruck von Paaren oft hoch ist, ist es für die Partner nicht leicht die Hemmschwelle zu überwinden und psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei spielt nicht selten die Befürchtung eine Rolle, der Berater könnte unbewusste Blockaden oder psychische Ursachen erkennen, die einem der beiden Partner die Verantwortung für die Kinderlosigkeit zuweisen. Hinzu kommt die Befürchtung, dass das Umfeld davon ausgeht, man könne die Situation nicht mehr selbstständig bewältigen. Dies kann insbesondere von Männern als zusätzliche Kränkung und Demütigung wahrgenommen werden. Es ist also dringend erforderlich, dass die Partner mit dem Berater ihre Erwartungen möglichst konkret klären und dabei Befürchtungen und Vorbehalte offen ansprechen.

Eine gravierende Belastung stellt es auch für die Partner da, wenn die medizinische Diagnostik keine Aufklärung über die Ursachen der Fruchtbarkeitsstörung liefert. Gerade dieser Zustand, dass es keine Behandlungsansätze gibt oder das quälende Warten auf eine präzisere Diagnostik wird oft als aufreibend und frustrierend empfunden. Das andauernde „Abwarten-Müssen“, der Umgang mit der Ungewissheit und die weitere Planungsunsicherheit beschäftigen viele Paare. Mit einer solchen Situation lernen umzugehen, ist alles andere als einfach, kann jedoch durch gemeinsame Gespräche deutlich erleichtert werden.

Da bezüglich der Inanspruchnahme professioneller Hilfe anfangs eine große Unsicherheit bei den Partnern besteht, ist es wichtig zu wissen, dass häufig schon wenige Gespräche ausreichen, um neue Impulse zu erhalten, die den Umgang mit den Folgen der Kinderlosigkeit deutlich erleichtern und wieder Mut und Zuversicht geben.
Ziel der Beratung ist es nicht, den Kinderwunsch in Frage zu stellen, sondern die Partner vom internen und externem Druck und der daraus resultierenden Verunsicherung zu entlasten. Weiterhin kann eine Beratung die Partner in den Entscheidungsprozessen bei den unterschiedlichen medizinischen Behandlungsschritten unterstützen. Zudem wird der Umgang mit der Belastung durch die ungewollte Kinderlosigkeit in den Gesprächen reflektiert und besprochen. Denn oft schwingen bei den Partnern Gefühle wie eigenes Versagen, Schuld und Scham mit. Wie diese Gefühle bewältigt und der Umgang mit den aktuellen Belastungen konstruktiv umgestaltet wird, steht im Mittelpunkt von Beratungen. Wichtig ist, dass die Bedürfnisse des jeweiligen Paares Berücksichtigung finden (vgl. ebd.).

Zu den zentralen Bausteinen von Beratungsgesprächen gehören u.a.: Transparenz (d.h. Erklärung von Beratungsablauf, -inhalten und –zielen), Paarzentrierung (d.h. der Kinderwunsch sowie der Umgang mit der Situation betrifft stets beide Partner), Motivklärung (d.h. Klärung welche Wünsche, Vorstellungen und Erwartungen den Kinderwunsch der Partner beeinflussen), Entlastung und Entwicklung von Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. u.a. Wischmann et al., 2000). Bezogen auf den letztgenannten Aspekt erweist es sich meist als sinnvoll, zusammen mit dem Paar die bisherige Entwicklung des Kinderwunsches und die entsprechende Behandlung mit neuem Abstand zu betrachten, um darüber ins Gespräch zu kommen, wie sich neue, entlastende Freiräume schaffen lassen. Zudem können gemeinsam neue, unbefangenere Wege des Umgangs mit dem Thema Kinderwunsch erarbeitet werden.

Nicht zuletzt können in einer Paarberatung beziehungsschwächende Muster und Verstrickungen in der Partnerschaft aufgedeckt werden. So lässt sich wiederholt feststellen, dass es Paare gibt, die tendenziell harmonisierend-verstrickt kommunizieren, oder Paare die sich eher konflikthaft-verstrickt miteinander auseinandersetzen (vgl. Stammer et al., 2004). Zu betrachten sind sonach je nach Anliegen und Schwierigkeiten des einzelnen Paares, der Umgang der Beziehungspartner mit Nähe und Distanz, eventuell konfliktvermeidende Strategien der Partner, die Entwicklung und Stärkung von Toleranz für den unterschiedlichen Umgang mit der Herausforderung sowie der Umgang mit den Auswirkungen der medizinischen Befunde und Behandlungen sowie dem hohen Leidensdruck. Zudem können eventuell bestehende Stressquellen der Partner, welche für die Fertilität von Bedeutung sind (z.B. Berufssituation oder Konflikte im sozialen Umfeld) ermittelt und besprochen werden. Doch auch spezielle Themen wie die Bewältigung einer Fehl- oder Totgeburt, Entscheidungskonflikte, sexuelle Problemstellungen und die nähere Betrachtung alternativer Lebensmodelle können Bestandteil einer Beratung bilden (vgl. Stammer et al., 2004; Wischmann & Stammer, 2010).

Wichtig und hilfreich kann eine professionelle Beratung auch dann sein, wenn mit der ungewollten Kinderlosigkeit Schuldgefühle verbunden werden (vgl. Rohde, 2001), z.B. wenn ein Partner die Entscheidung für ein Kind längere Zeit aufgeschoben oder vernachlässigt hat. Aber auch dann, wenn bei einem Partner z.B. körperliche Ursachen für die (bisherige) Kinderlosigkeit diagnostiziert wurden, bieten Beratungsgespräche die Möglichkeit, neue, wohlwollende Umgangsformen miteinander zu finden und Spannungen zu lösen (vgl. auch Infobroschüre – unerfüllter Kinderwunsch vom Universitätsklinikum Heidelberg).

Ich hoffe betroffene Paaren, welche sich durch diesen Beitrag angesprochen fühlen oder sich in der einen oder anderen Situationsbeschreibung wiedergefunden haben, konnten erste Anregungen finden, um über den unerfüllten Wunsch eines gemeinsamen Kindes und die damit verbundenen Herausforderungen auf neue Weise ins Gespräch zu kommen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Kraft und Vertrauen in Ihre Partnerschaft.

Quellen und Literaturhinweise:

Gagel, Kentenich, Ulrich et al. (1999). „Warum gerade wir?“ — Wenn ungewollte Kinderlosigkeit die Seele belastet. Broschüre 4 aus dem Medienpaket „Kinderwunsch“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Köln.

Kleinschmidt, Thorn & Wischmann (2008). Kinderwunsch und professionelle Beratung. Kohlhammer Verlag.

Stammer, Verres & Wischmann (2004). Paarberatung und -therapie bei unerfülltem Kinderwunsch. Hogrefe Verlag.

Rohde (2001). Zur psychischen Situation ungewollt kinderloser Paare. In Fthenatkis & Textor (Hrsg.), Online-Familienhandbuch. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik. [letzter Zugriff 28.08.2013]

Wischmann & Stammer (2010). Der Traum vom eigenen Kind. Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch. 4. akt. Aufl. Kohlhammer.

Informationen und Recherchehinweise für Sie:

Khaschei & Feibner (2012). Hoffnung Kind: Wege und Perspektiven zum erfüllten Kinderwunsch. Stiftung Warentest.

Infobroschüre – unerfüllter Kinderwunsch von der Universitätsklinik Heidelberg

Informationsportal vom Bundesfamilienministerium

Internetseite von betroffenen Partnern für betroffene Partner

Onlinecoaching für Paare an der Universität Bern

Erfahrungsberichte:

Uyterlinde (2003). Eisprung : Eine Geschichte über die Liebe und den Wunsch nach einem Kind. Goldmann Verlag.

Zehetbauer (2007). Ich bin eine Frau ohne Kinder: Begleitung beim Abschied vom Kinderwunsch. 2. Aufl. Kösel.